Heilpädagogisches Reiten

Im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII ist eine Kostenübernahme für Heilpädagigisches Reiten von Schulkindern nicht möglich.

In dem hier vom Verwaltungsgericht Freiburg entschiedenen Fall wehrt sich die Klägerin gegen die Bescheide des Landratsamts, durch die eine Bewilligung der Eingliederungshilfe abgelehnt worden ist. Nach Auffassung des Gerichts sind die Bescheide und Widerspruchsbescheide des zuständigen Landratsamts rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten; die Klägerin hat keinen Anspruch gegenüber dem Beklagten auf Übernahme der Kosten für die Teilnahme am Projekt „A.“ im Wege der Eingliederungshilfe (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Die Klägerin macht, wie sich aus der Klageschrift vom 12.08.2010 und dem darin enthaltenen Klageantrag, an den auch das Gericht nach § 88 VwGO gebunden ist, eindeutig ergibt, mit der vorliegenden Klage allein einen nach dem Gesetz ihr persönlich (und nicht ihren Eltern) zustehenden Anspruch auf Bewilligung von Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII geltend. Auch im vorangegangenen Verwaltungsverfahren haben die Eltern als gesetzliche Vertreter der Klägerin bei dem Beklagten gemeinsam nur einen darauf, das heißt auf Bewilligung von Eingliederungshilfe, gerichteten Antrag gestellt. Ob demgegenüber die Eltern der Klägerin einen ihnen (und nicht der Klägerin) zustehenden Anspruch auf Bewilligung von Erziehungshilfe nach den §§ 27 ff. SGB VIII in Form der Übernahme der Kosten für die Teilnahme der Klägerin am Projekt „A.“ (möglicherweise als einer besonderen Form der sozialen Gruppenarbeit nach § 29 SGB VIII) haben, ist somit weder Gegenstand des vorangegangenen Verwaltungsverfahrens gewesen noch ist es Gegenstand des vorliegenden gerichtlichen Verfahrens.

Die Teilnahme der Klägerin am Projekt „A.“, einer von einer sozialpädagogischen Fachkraft betreuten Mädchengruppe, bei der der Umgang mit Pferden, deren Pflege und das Reiten im Vordergrund stehen, kann im Wege der Eingliederungshilfe nicht bewilligt werden, weil diese Hilfeleistung nicht zu den zulässigen Arten der Leistungen der Eingliederungshilfe gehört.

Nach § 35a Abs. 3 SGB VIII richten sich neben der Aufgabe, dem Ziel der Hilfe und der Bestimmung des Personenkreises vor allem auch die Art der Leistungen, die durch Eingliederungshilfe bewilligt werden können, (allein) nach den §§ 53 Abs. 3 und 4 Satz 1 sowie 54, 56 und 57 SGB XII, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden.

§ 53 Abs. 3 SGB XII beschreibt nur die Aufgabe der Eingliederungshilfe und betrifft nicht die Art der Leistung. § 53 Abs. 4 Satz 1 SGB XII ist gegenüber § 54 SGB XII lediglich die allgemeinere Vorschrift, die speziellen Leistungsarten ergeben sich insoweit allein aus der spezielleren Norm des § 54 SGB XII. Die §§ 56 und 57 SGB XII betreffen entweder – wie § 56 SGB XII – nur Hilfen in Werkstätten für behinderte Menschen oder regeln – wie § 57 SGB XII – nur die Form der Leistungsgewährung (als persönliches trägerübergreifendes Budget), also keine eigene Leistungsart; sie sind danach hier offensichtlich nicht einschlägig.

Demnach richtet sich die Art der Leistung hier nach § 54 SGB XII. Die von der Klägerin begehrte Leistung zählt aber auch eindeutig nicht zu den im Katalog des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 5 SGB XII genannten Leistungsarten.

Allerdings verweist § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII auch auf die Vorschriften der §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX. Von diesen Vorschriften scheiden die §§ 33 und 41 SGB IX von vornherein aus, weil es im Fall der Klägerin nicht um Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 33 SGB IX) und im Arbeitsbereich einer Werkstatt für Behinderte (§ 41 SGB IX) geht. Die Vorschrift des § 26 SGB IX wiederum erfasst nur Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Auch diese Rechtsnorm kann hier nicht zur Anwendung kommen. Der Klägerin geht es vorliegend nicht um eine medizinische Maßnahme. Im Übrigen ist insoweit auch die Norm des § 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII zu berücksichtigen, nach der die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben jeweils den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit entsprechen (müssen). Diese Regelung würde die Kostenübernahme für eine – von der Klägerin allerdings nicht gewollte – Reittherapie als medizinische Rehabilitationsleistung (ggf. in den Formen des therapeutischen Reitens oder der Hippotherapie) ausschließen, da es hierfür an der erforderlichen Anerkennung des therapeutischen Nutzens durch den Gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen fehlt.

Damit ist von den Vorschriften, auf die über die §§ 35a Abs. 3 SGB VIII und 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII verwiesen wird, hier allein § 55 SGB IX anwendbar. Die von der Klägerin begehrte Leistung findet sich jedoch ebenfalls nicht im Katalog des § 55 Abs. 2 SGB IX. Die Nr. 2 dieser Vorschrift enthält zwar heilpädagogische Leistungen für Kinder und erfasst auch das heilpädagogische Reiten, das ggf. auch Elemente sozialer Gruppenarbeit in Verbindung mit dem Umgang mit Pferden enthält. Sie gilt nach ihrem eindeutigen Wortlaut jedoch nur für Kinder, die noch nicht eingeschult sind, und damit nicht für die Klägerin. Auch § 55 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX („Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben“) erfasst die von der Klägerin begehrte Leistung offenbar nicht. Was unter dieser Vorschrift im einzelnen zu verstehen ist, wird in § 58 SGB IX erläutert. Danach umfassen die Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben vor allem

  1. Hilfen zur Förderung der Begegnung und des Umgangs mit nichtbehinderten Menschen,
  2. Hilfen zum Besuch von Veranstaltungen oder Einrichtungen, die der Geselligkeit, der Unterhaltung oder kulturellen Zwecken dienen, und
  3. die Bereitstellung von Hilfsmitteln, die der Unterrichtung über das Zeitgeschehen oder über kulturelle Ereignisse dienen, wenn wegen Art oder Schwere der Behinderung anders eine Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nicht oder nur unzureichend möglich ist.

Darunter fallen nicht eine Reittherapie oder eine pferdegestützte soziale Gruppenarbeit mit dem Ziel der Förderung der emotionalen, kognitiven, motorischen und sozialen Kompetenz, wie das bei dem Projekt „A.“ der Fall ist. Alle anderen Nummern des § 55 Abs. 2 SGB IX scheiden im vorliegenden Fall schon vom Wortlaut her offenkundig aus.

Nach diesen normativen Vorgaben steht fest, dass es sich bei der von der Klägerin begehrten Leistung nicht um eine (vom Gesetz zugelassene) Leistung der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII handelt. Zwar sind die Kataloge von Maßnahmen der Eingliederungshilfe in den §§ 54 Abs. 1 SGB XII und § 55 Abs. 1 und 2 SGB IX nicht abschließend, wie sich an dem in beiden Vorschriften enthaltenen Wort „insbesondere“ zeigt, und sind weitere Hilfen damit grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Da das heilpädagogische bzw. therapeutische Reiten, unter das das Projekt „A.“ fällt, jedoch als eine Art der Leistung der Eingliederungshilfe eigens im Gesetz und zwar in den §§ 35a Abs. 3SGB VIII, 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII und 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX geregelt ist, dort aber ausdrücklich nur auf Vorschulkinder beschränkt und darüber hinaus nur unter den in § 56 SGB IX genannten weiteren Voraussetzungen zugelassen ist, scheidet eine erweiternde Auslegung der §§ 54 SGB XII und 55 SGB IX dahingehend, dass das heilpädagogische bzw. therapeutische Reiten auch von den Leistungen der Eingliederungshilfe für bereits eingeschulte Kinder wie die Klägerin umfasst wird, aus.

Dementsprechend ist auch die in den Akten befindliche Rechnung von „A.“ e. V. (in Übereinstimmung mit dessen schriftlicher Stellungnahme vom selben Tag) zutreffend so gefasst, dass dort nicht um Erstattung für geleistete Eingliederungshilfe (nach § 35a SGB VIII), sondern für geleistete Hilfe zur Erziehung in Form der sozialen Gruppenarbeit (nach den §§ 27, 29 SGB VIII) gebeten wird. Diese dort in Rechnung gestellte Leistung ist aber, wie zu Beginn ausgeführt, nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Auf die zwischen den Beteiligten (vor allem) erörterten Fragen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 SGB VIII vorliegen und ob die von der Klägerin begehrte Leistung unter sozialpädagogischen Gesichtspunkten notwendig und geeignet ist, kommt es hiernach nicht an.

Verwaltungsgericht Freiburg, Urteil vom 17. März 2011 – 4 K 1468/10