Gewährleistungsansprüche gegen den Pferdeverkäufer und Tierarzthaftung wegen fehlerhafter Ankaufsuntersuchung
Haftet der wegen eines Fehlers bei der Ankaufsuntersuchung eines Pferdes zum Schadensersatz verpflichtete Tierarzt neben dem Verkäufer als Gesamtschuldner, trifft den Käufer grundsätzlich nicht die Obliegenheit, zur Schadensminderung zunächst seine Ansprüche gegen den Verkäufer gerichtlich geltend zu machen.
Der Tierarzt ist bei der Ankaufsuntersuchung eines Pferdes nicht nur verpflichtet, die Untersuchung ordnungsgemäß durchzuführen, sondern er hat seinem Auftraggeber auch deren Ergebnis, insbesondere Auffälligkeiten des Tieres, mitzuteilen. Der mit der Ankaufsuntersuchung beauftragte Tierarzt schuldet einen fehlerfreien Befund. Erfüllt er insoweit seine Pflichten nicht, haftet er, weil der Vertrag als Werkvertrag einzuordnen ist, gemäß § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB auf Ersatz des Schadens, der bei dem Vertragspartner dadurch entstanden ist, dass er das Pferd aufgrund des fehlerhaften Befundes erworben hat.
Die Schadensersatzverpflichtung des Tierarztes ist, wie jetzt der Bundesgerichtshof entschied, auch nicht gegenüber der Kaufgewährleistungshaftung der Verkäuferin nachrangig. etwa weil eine gesamtschuldnerische Haftung beider nicht in Betracht komme. Im übrigen würde der Tierarzt auch dann auf Schadensersatz haften, wenn eine Gesamtschuld nicht vorläge. In diesem Fall würde sich allenfalls die Frage stellen, ob der vom Käufer in Anspruch genommene Tierarzt gemäß § 255 BGB die Abtretung der Ansprüche gegen den Verkäufer verlangen könnte.
Die Verpflichtungen der Verkäuferin auf Rückabwicklung des Kaufvertrags und des beklagten Tierarztes auf Ersatz des der Klägerin infolge des Abschlusses des Kaufvertrags entstandenen Vermögensschadens stehen gleichstufig nebeneinander. Die Gleichstufigkeit der Verpflichtungen ergibt sich daraus, dass sowohl die Verkäuferin als auch der Beklagte für den infolge der Kaufpreiszahlung entstandenen Vermögensnachteil aufzukommen haben und auch die Kosten für den Unterhalt des Pferdes mit einer Geldzahlung ersetzen müssen, ohne dass einer der Schuldner nur subsidiär oder vorläufig für die andere Verpflichtung einstehen muss. Auf die Einordnung als Rückzahlung gemäß § 346 BGB beziehungsweise als Verwendungsersatz gemäß § 347 Abs. 2 BGB oder als Schadensersatz kommt es ebenso wenig an wie auf die Frage, ob ein Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses oder des positiven Interesses geltend gemacht wird. Auch ist unerheblich, dass die Verkäuferin möglicherweise trotz fehlenden Verschuldens haftet, während die Haftung des Beklagten Verschulden voraussetzt. Gleiches gilt für den Umstand, dass Verkäuferin und Tierarzt, bezogen auf das Kaufgeschäft, nicht im selben Lager stehen und kein gemeinsames Interesse verfolgen. Ohne Belang ist auch, dass beide unterschiedliche Hauptleistungspflichten zu erfüllen haben. Entscheidend ist allein, dass sowohl die Verkäuferin als auch der beklagte Tierarzt verpflichtet sind, die entsprechenden Aufwendungen zu ersetzen und damit ein inhaltsgleiches Gläubigerinteresse zu befriedigen. Beide haben für die Beseitigung des gleichartigen Vermögensnachteils einzustehen, den die Klägerin dadurch erlitten hat, dass jeder von ihnen seine vertraglichen Pflichten nicht erfüllt hat. Daran ändern nach Ansicht des Bundesgerichtshofs auch Erwägungen über eine größere Sachnähe des Verkäufers nichts. Diese Erwägungen lassen im Übrigen unberücksichtigt, dass der Tierarzt mit einem fehlerhaften Befund zur Ankaufsuntersuchung die eigentliche Ursache für den Ankauf gesetzt haben kann und bagatellisieren damit zu Unrecht die Aufklärungsfunktion der Ankaufsuntersuchung.
Der Pferdekäufer ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofs auch nicht verpflichtet, gemäß §§ 242, 254 Abs. 2 Satz 1 BGB zunächst die Verkäuferin in Anspruch zu nehmen. Dem Gläubiger steht es frei, welchen Gesamtschuldner er in Anspruch nimmt. Ihm kann deshalb grundsätzlich nicht als Verschulden bei der Obliegenheit zur Schadensminderung angelastet werden, den Schuldner seiner Wahl in Anspruch genommen zu haben. Allerdings darf der Gläubiger bei seiner Entscheidung, gegen welchen Schuldner er vorgeht, nicht jede Rücksichtnahme vermissen lassen. Er hat vielmehr seine Rechte nach Treu und Glauben auszuüben, § 242 BGB. So kann der Auftraggeber ausnahmsweise gehindert sein, einen Architekten wegen eines Bauaufsichtsfehlers in Anspruch zu nehmen, wenn und soweit er auf einfachere, insbesondere billigere Weise von dem Unternehmer die Beseitigung des Mangels verlangen kann. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben liegt auch dann vor, wenn der Gläubiger sich nur deswegen an einen von mehreren Gesamtschuldnern halten und ihm das Regressrisiko aufbürden würde, weil er aus missbilligenswerten Motiven die Absicht hat, gerade diesen Schuldner zu belasten.
Der Bundesgerichtshof musste abschließend nicht entscheiden, inwieweit es auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Pferd letztlich an den Verkäufer zurückzugeben sein dürfte, geboten sein kann, den Verkäufer zunächst auf Rückabwicklung des Vertrages in Anspruch zu nehmen. Das wäre jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn die Rückabwicklung der einfachere und jedenfalls nicht aufwändigere Weg der Schadloshaltung wäre. Diese Voraussetzungen sind im hier entschiedenen Fall jedoch nicht gegeben. Die Verkäuferin ist nicht bereit, Zug um Zug gegen Rückübereignung des Pferdes den Kaufpreis zurückzuzahlen und der Klägerin die notwendigen Verwendungen auf das Tier zu ersetzen. Zu einer gerichtlichen Geltendmachung ihrer Ansprüche gegen die Verkäuferin ist die Klägerin vor einer Inanspruchnahme des Beklagten gemäß § 242 BGB nicht verpflichtet. Unerheblich ist der Umstand, dass die Klägerin gegen die Verkäuferin ein selbständiges Beweisverfahren eingeleitet hat. Es ist nicht rechtsmissbräuchlich, wenn sie die gerichtliche Auseinandersetzung mit der Verkäuferin meidet und diese mit dem Beklagten sucht. Welche Kosten die Ankaufsuntersuchung verursacht hat, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang.
BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 – VII ZR 136/11